Wenn Hochzeitsrituale Staub ansetzten

11/30/20253 min read

In Deutschland kennen wir die üblichen Verdächtigen: das Sandritual, die Traukerze, das Bäumchenpflanzen, das gemeinsame Sägen, symbolische Bänder, Ringrituale in allen Varianten. Alles schön, alles bewährt. Klassiker eben – man hat sie erlebt oder zumindest davon gehört. Andere Länder, andere Sitten: Inzwischen schwappen aber auch Neues zu uns rüber. Handfasting zum Beispiel – die symbolische Handbindung, die ursprünglich aus den britischen Inseln stammt. Andere Rituale boomen regelrecht, weil viele Paare spüren, dass ihre Trauung frischen Wind verträgt. Neue Ideen kitzeln die Fantasie – weg vom Standardsortiment, hin zu etwas Individuellem.

Meine Liebe zu den rau-romantischen, nebelverhangenen Nordländern sitzt tief. Und weil ich ein großer Fan ihrer Mythen und Bräuche bin, dachte ich: Schau ich doch mal, was da so alles getrieben wird. Und Ta-daa: Ein Beispiel für starkes Stück schottischer Tradition: das Blackening. Kurzfassung für alle, die es bislang verpasst haben: In manchen Regionen Schottlands wird das Paar vor der Hochzeit „entführt“, mit Ruß, Eiern, Mehl, Molasse und anderem klebrigen Chaos eingeschmiert und anschließend lautstark durchs Dorf gefahren. Es ist wild, schmutzig, archaisch, ein bisschen irre – und historisch ein Ritual der Prüfung, des Zusammenhalts und des gemeinsamen Humors. Frei dem Motto: Wer das gemeinsam übersteht, übersteht auch alle anderen Herausforderungen einer Ehe. Es ist ein lautes „Fuck you“ an Perfektion und Hochglanz-Instagram-Hochzeit. Ohne Dorf, ohne Clan, ohne jahrhundertealte Gemeinschaft wirkt Blackening allerdings eher wie Verkleidung als wie eine echte Verwandlung.

Und genau deshalb bin ich bei der bloßen Übernahme von fremden Hochzeitsbräuchen vorsichtig kritisch. Nicht, weil es automatisch kulturelle Aneignung wäre, sondern weil ich eine Frage für wichtig halte:

Warum? Warum möchten wir als Paar gerade dieses Ritual – egal welches – bei unserer Trauung haben? Ist es, weil ihr einen einen echten Bezug zu dem Land oder der Kultur habt? Oder weil es einfach „anders“ ist?

Ich hinterfrage den Wunsch nach Ritualen bei meinen Paaren immer. Und genau da beginnt für mich auch ein schöner Teil meiner Arbeit. Ich tauche in die Geschichten meiner Paare ein und warte, bis die Funken überspringen. Und dann entstehen Rituale, die so sehr nach ihnen klingen, dass es mich manchmal selbst rührt.

Wenn ihr jetzt da sitzt und denkt: „Okay, Virginia, dann gib mal her, die Beispiele“, dann halte ich euch nicht länger hin: Eines meiner Paare hatte einen tiefen zu Barcelona. In Katalonien ist es Tradition, an Silvester zu jedem der zwölf Glockenschläge eine Weintraube zu essen – zwölf Trauben, zwölf Wünsche für das neue Jahr. Schafft man es rechtzeitig, sollen die Wünsche in Erfüllung gehen. Ein Ritual zwischen Aberglaube, Hoffnung und leichtem Würgereiz, wenn man spät dran ist. Weil die beiden diese Tradition liebten, haben wir das Ganze für die freie Trauung umgedacht. Jeder Gast bekam zwei Trauben, die beiden natürlich auch. Beim Ja-Wort haben die beiden und auch die Gäste jeweils eine Traube gegessen und still einen Wunsch für die Ehe mit ins Universum geschickt. Ein ganz leiser Moment, der aber trotzdem jedem in Erinnerung geblieben ist.

Manchmal kommen Paare aber auch schon selbst mit einer guten Idee um die Ecke, dass ich kurz laut „YES PLEASE“ denke. Kennengelernt auf einem Festival, erster gemeinsamer Kuss mit genau dieser Biersorte? Dann wird beim Ja-Wort nicht gesprochen – sondern angestoßen. Ein Ja aus Hopfen und Herz mit genau dieser einen Biersorte.

Oder: Der Ringtausch erfolgte schon im Standesamt und fühlt sich deshalb bei der freien Trauung eher nach Wiederholung als nach Ritual an? Kein Problem. Dann zückt man den Akkubohrer und bohrt stattdessen Messingschilder mit einem eigenen Spruch und Initialen an eine ganz besondere Holzbank, auf der man während der Trauung zusammen gesessen hat.

All diese Rituale haben etwas gemeinsam: Sie gehören den Paaren wirklich selbst.

Die Quintessenz

Kreativität liegt nicht jedem. Und das ist völlig okay. Deshalb greifen viele zu Klassikern – Sand, Kerzen, Ringe, Bäumchen. Für viele funktioniert das wunderbar. Das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden, schon gar nicht mitten in der emotionalen Achterbahnfahrt einer Hochzeit. Aber für all jene, die spüren: Da geht noch mehr, werde ich zur Ideenmaschine, zur Ritual-Schmiedin, zur kreativen Partnerin-in-Crime. Ihr dürft euch zurücklehnen. Ich lausche eurer Geschichte – und baue daraus ein Ritual, das es nur einmal gibt. Eures.